Mit den Bildungsprogrammen von Acker e.V. entdecken Kita- und Schulkinder, wie spannend es ist, Gemüse selbst anzubauen. Im Schul- und Kitagarten wachsen nicht nur Rettich und Radieschen sondern auch Teamgeist und Verantwortungsgefühl.
„Das macht fünfzig Cent, bitte“. Stolz hält Jonas ein Radieschen hoch und nimmt strahlend das Geldstück entgegen. Gemeinsam mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern hat er auf dem Schulfest einen kleinen Gemüsestand aufgebaut. Die Preise sind erstaunlich hoch. Die jungen Verkäufer haben dafür eine klare Begründung: „Wir haben das Gemüse selbst angebaut, gegossen und geerntet. Das war viel Arbeit. Deshalb ist es so wertvoll.“
„Viele Kinder haben noch nie gesehen, wie Gemüse wächst. Für sie ist der Supermarkt oder der Lieferdienst oft der einzige Bezugspunkt zur Nahrung“
Dr. Christoph Schmitz, Gründer von Acker e.V.
Kinder blühen auf dem Acker auf
Für Jonas Klasse ist es inzwischen selbstverständlich, dass Radieschen, Möhren, Kohlrabi und Co nicht einfach im Supermarktregal liegen. Sie wissen, bis das Gemüse auf ihren Teller kommt, braucht es viel Zeit, Pflege und Geduld. Noch vor einem Jahr hätten die meisten von ihnen nicht erklären können, wie Gemüsepflanzen wachsen. Heute graben sie Kartoffeln im Schulgarten aus, zupfen Unkraut, pflanzen Asia-Salat, Chinakohl, Pastinaken, Mangold, Sellerie oder Schwarzwurzeln und jubeln, wenn sie beim Umgraben einen Regenwurm finden.

Über 2.000 Lernorte
Möglich macht das die GemüseAckerdemie von Acker e.V. Seit 2012 bringt die mehrfach ausgezeichnete Bildungsinitiative Kindern in Schulen und Kitas den Gemüseanbau nahe. Mittlerweile gibt es fast 2.000 Lernorte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Über 320.000 Schülerinnen und Schüler sowie 100.000 Kitakinder, die sogenannten AckerRacker, haben bisher an den Programmen teilgenommen.
Wissen, dass kein Schulbuch bietet
„Es gibt heute immer weniger Möglichkeiten, den Lebensmittelanbau direkt zu erleben“, sagt der Gründer von Acker e.V. Dr. Christoph Schmitz. „Viele Kinder haben noch nie gesehen, wie Gemüse wächst. Für sie ist der Supermarkt oder der Lieferdienst oft der einzige Bezugspunkt zur Nahrung“, so der promovierte Agrarökonom weiter. Die GemüseAckerdemie und die AckerRacker, ein Programm, das Acker e.V. speziell für Kita-Kinder entwickelt hat, soll den jungen Menschen helfen, die Herkunft und die natürlichen Prozesse hinter den Lebensmitteln besser zu verstehen. „Unser Ziel ist es, einen naturnahen Lernort zu gestalten, an dem Kinder und Jugendliche den gesamten Zyklus des Gemüseanbaus – von der Aussaat bis zur Ernte – mit allen Sinnen miterleben können“, erklärt Christoph Schmitz, der auf einem Bauernhof großgeworden ist.
So funktioniert das Programm
Acker e.V. begleitet die Bildungseinrichtungen vier Jahre lang. Gemeinsam mit Lehr- und Erziehungskräften wird ein geeigneter Platz ausgewählt, Bodenproben entnommen sowie Saatgut und Jungpflanzen bereitgestellt. Neben intensiven Fortbildungen und wöchentlichen Online-Praxistipps mit Anleitungen zur Arbeit auf dem Acker, erhalten die Programmteilnehmerinnen und Teilnehmer eine große Auswahl an Unterrichtsmaterialien über eine digitale Lernplattform. Spielerische Übungen, Schaubilder, Experimente, Arbeitsblätter und vieles mehr vertiefen das gelernte Wissen über den Gemüseanbau. Zusätzlich unterstützt werden die Hobby-Gemüsezüchter von ehrenamtlichen AckerCoaches. Ziel ist es, dass der Acker dauerhaft in den Alltag der Schulen und Kitaeinrichtungen integriert wird.
Mehr als Gemüse: Verantwortung und Teamgeist
Die Schul- und Kitagärten sind in der Regel zwischen 30 und 200 Quadratmeter groß. Auf dem Acker wird nicht nur wichtiges Ernährungswissen vermittelt, auch entscheidende Kompetenzen, die im Klassenzimmer oft zu kurz kommen, werden gefördert. Wenn die Kinder die Beete pflegen, üben sie Verantwortung zu übernehmen. Nicht selten kommt es vor, dass Schülerinnen und Schüler noch vor Schulbeginn oder in den Ferien „ihren“ Acker besuchen, um nach den Pflanzen zu schauen. Bei der gemeinsamen Arbeit helfen sie sich gegenseitig und lernen, sich abzusprechen. Das stärkt die Teamfähigkeit und das Kommunikationsvermögen. Geduld und Ausdauer sind ebenfalls gefragt, denn Gemüse wächst nicht über Nacht. Gleichzeitig entdecken die Kinder ökologische Zusammenhänge. Sie beobachten Insekten, finden Nützlinge im Erdreich und erfahren, wie Boden, Wasser und Klima zusammenwirken. „Solche Erlebnisse schaffen eine emotionale Bindung zur Natur“, betont Christoph Schmitz. „Und diese Bindung ist die Grundlage, für nachhaltiges Handeln.“
Geschmack, der prägt
Am meisten Spaß haben die Kinder und Jugendlichen beim Ernten des eigenen Gemüses. Auf dem Acker dürfen sie fühlen, riechen und probieren. Viele von ihnen kosten sogar Gemüse, das sie vorher strikt abgelehnt haben oder nicht kannten. Schmitz erinnert sich an ein Erlebnis aus den Anfangsjahren: „Ich stand mit einem Mädchen auf dem Acker. Wir ernteten die reifen Tomaten. Als ich ihr sagte, dass sie ruhig eine probieren könne, schaute sie mich erstaunt an. Sie hatte angeblich noch nie eine Tomate gegessen. Dabei kannte sie auf meine Nachfrage hin zwar die rote Sauce auf der Pizza oder die Tomatensauce auf den Nudeln, nur eine „runde Tomate“ hätte sie noch nicht gegessen.“ Solche Momente zeigen, wie weit viele Kinder von ihrer Nahrung entfernt sind und wie groß ihre Neugier ist, wenn sie selbst ernten dürfen.

Prägende Wirkung belegbar
Der Wirkungsbericht 2024 von Acker e.V. zeigt, dass 59 Prozent der Schülerinnen und Schüler mehr Wertschätzung und Interesse an Gemüse entwickeln. Über die Hälfte der befragten ehemaligen Acker-Schülerinnen und Schüler berichtet, dass sie seitdem mehr Gemüse essen. Auch die Pädagoginnen und Pädagogen sehen die positiven Effekte: 67 Prozent der Lehrkräfte geben an, dass sich die Beziehung zu ihren Schülerinnen und Schülern durch das gemeinsame Ackern verbessert hat.
Vision für 2030
Für Christoph Schmitz ist es ein großer Ansporn weiterzumachen. Seine Vision: Bis 2030 soll jedes Kind in Deutschland die Chance haben, im Laufe seiner Kita- oder Schulzeit einen eigenen Acker zu erleben. „Jedes Kind soll sehen können, wie ein Samenkorn keimt, wie Gemüse wächst und was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen“, sagt er. Denn nur wer versteht, woher Lebensmittel kommen, entwickelt ein Bewusstsein für gesunde Ernährung, weiß den Wert von Ressourcen zu schätzen und hat Respekt vor der Natur, ist Schmitz überzeugt.
