Wer Familie Hemme in der Wedemark besucht, geht auf eine Zeitreise durch vier Jahrhunderte. Unter alten Eichen steht noch immer ein Fachwerk-Schafstall, der 1628 aus Holz und Lehm erbaut wurde. Inmitten eines romantisch angelegten Bauerngartens mit einer bunten Blütenvielfalt und Buchsbaumhecken entdeckt man ein ehemaliges Backhaus. Eine Remise, alte Stallungen und Wirtschaftsgebäude aus rotem Backstein und ein Wohnhaus aus der Gründerzeit machen das idyllische Bild eines traditionsreichen niedersächsischen Hofes komplett.
Zwischen Tradition und Moderne
Zwei Pferde, 15 Rinder, zwei Schweine und 47 Schafe wurden laut Registereintragung von 1589 von den Ahnen der Hemmes kurz nach dessen Gründung hier gehalten. Heute leben Alwine Hemme mit ihrem Mann Marius, ihrer Tochter Mathea und ihrem Vater Jörgen und Großvater Jürgen auf diesem Areal. Der Schafstall wurde mittlerweile zur Spielscheune umfunktioniert und wird für Kindergeburtstage genutzt. In einem anderen Gebäude befindet sich ein Hofshop mit Verkaufsautomaten.
„Heutzutage sind die Tiere viel gesünder als früher. Damals wurden sie in Ställen ohne Frischluftzufuhr gehalten. Inzwischen wissen wir weitaus mehr über sie und über artgerechte Haltungsmaßnahmen“
700 Rinder, 450 Milchkühe und rund 250 Jungtiere sind im zweiten Betriebsbereich untergebracht. 300 Meter von dem beschaulichen Hof entfernt entstand ein hochmoderner, tierwohlgerechter Komplex bestehend aus drei großen offenen Ställen mit großen Liegeboxen sowie Außenterrassen für bis zu 150 Tiere, einem eingezäunten Wartebereich für die Kühe vorm Melkhaus mit Melkkarussell, einer Molkerei und einem Lager- und Kühlhaus mit LKW-Laderampe. Die Dächer sind mit Photovoltaikplatten belegt, sodass der Hof seine Energie selbst erzeugt. Weiterhin sind auf diesem Gelände drei große Fahrsilos gebaut worden, die mit Mais- und Grassilage befüllt werden.




So frisch kommt die Milch in den Laden
Ein großes silbernes Rohr führt vom Melkhaus zur Molkerei. „Jede Milchkuh wird dreimal täglich gemolken“, erklärt Alwine Hemme. Die Milch, pro Kuh sind es rund 40 Liter pro Tag, fließt direkt durch das Rohr in die Molkerei und wird dort zu frischer Vollmilch, fettarmer Milch, Sahne, Eiskaffee, Schokomilch, Joghurt (aktuell 15 verschiedene Sorten), Fassbutter oder Pudding verarbeitet, verpackt und versandfertig gemacht.
„Unser Produktionsweg ist so kurz, dass wir ungefähr 14 Tage schneller sind als die Industrie“, so die Betriebswirtin weiter. Gemeint ist damit, dass die gemolkene Hemme-Milch zwei Wochen früher verarbeitet, verpackt und im Supermarkt angeboten wird als herkömmliche Industriemilchprodukte. Das heißt: So frisch wie die Produkte aus Hemme-Milch sind fast keine anderen. „Es gibt ca. 50.000 Landwirte mit Milchtieren in Deutschland“, sagt Alwine Hemme. Doch weniger als ein Prozent arbeiten so wie wir. 99 Prozent teilen sich die Arbeit auf. Dabei liegt die Milchtierhaltung in den Händen der Bauern und der Verarbeitungsprozess inklusive Vertrieb ist Teil der Industrie.“
Warum Hemme-Milch anders schmeckt
„Unsere Milchprodukte stammen aus unserer Herde. Da alle unsere Tiere das gleiche Futter in einer bestimmten Zusammensetzung erhalten, hat unsere Milch einen ganz charakteristischen Geschmack“, beschreibt die zukünftige Hofnachfolgerin. 90 Prozent des Futters, Mais und Gras, baut die Familie selbst an. „Jeder Landwirt setzt sein Futter individuell zusammen. Da normale Milch aus vielen verschiedenen Herden zusammengemischt wird, ergibt dies geschmacklich einen großen Unterschied zu unserer Milch.“
Vom Haustür-Lieferdienst bis ins Supermarktregal
Dass die Familie ihre Milch selbst verarbeitet und vermarktet, hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ergeben. Alwines Großvater hielt Kühe und baute gleichzeitig Kartoffeln an, die er selbst vermarktete. Als Alwines Vater in 18. Generation den Hof übernahm, stieß er das Kartoffelgeschäft ab und konzentrierte sich voll auf das Milchgeschäft. „Mein Vater träumte davon, dass seine von ihm vermarktete Milch eines Tages in Supermärkten verkauft würde. Das hat er geschafft“, sagt seine Tochter stolz.



Die ersten 15 Jahre lang lieferte Jörgen Hemme Vorzugsmilch bis an die Haustüren von 3000 Haushalten in der Umgebung. Dazu kam Joghurt, Molke, Quark. Dieses Geschäft wurde durch die Kooperation mit einer namhaften Supermarktkette abgelöst.
Mittlerweile bieten die Hemmes neben frischer Vollmilch auch laktosefreie Milch und sogar die pflanzliche Variante aus Hafer an. „Für die unterschiedlichen Wünsche einer Familie wollen wir alles anbieten. Der Papa leidet vielleicht an einer Laktoseintoleranz, während die Tochter ein alternatives Milchprodukt bevorzugt, aber bei uns findet die Mama alles und das aus der Region, ohne lange umweltschädliche Transportwege.“
Smarte Stalltechnik für gesunde Tiere
„Ein erfolgreiches Milchgeschäft ist natürlich nur möglich, wenn die Herde gesund und fit ist“, erzählt Alwine Hemme weiter. Die wichtigsten Säulen dabei sind viel frische Luft, gutes frisches, leicht verdauliches Futter und frisches Wasser sowie eine sehr saubere Umgebung. „Die Wohlfühltemperatur der Kühe liegt bei rund 10 Grad. Alles, was über 20 Grad geht, stresst sie. Deshalb finden sie bei uns viele Schattenplätze und Ventilatoren.“ Auch ein ruhiger Melkvorgang zahlt auf die Gesundheit der Tiere ein. Die Hemmes haben das erste schwimmende Melkkarussell Deutschlands installiert. „Durch das Wasser dreht sich der Stand extrem ruhig. Es gibt kein abruptes Abstoppen. Die Kühe gehen ganz gemächlich auf das Karussell“, beschreibt Alwine Hemme.

Darüber hinaus sammeln Sensoren, die sich in den Ohren der Kühe befinden, wichtige Gesundheitsdaten, die von einer Software analysiert werden. „Unsere Herdenmanager sowie unsere fest angestellte Veterinärin beobachten die Tiere ebenfalls genau und können präventiv eingreifen, sollten sich Daten verschlechtern.“ Zu den Hauptkrankheiten bei Milchkühen zählen Klauenkrankheiten oder Euterentzündungen und Nachgeburtsprobleme. „Wir haben einen modernen Klauenpflegestand und sorgen mit einer sorgfältigen Boxenpflege für optimale Hygiene“, erklärt Alwine Hemme.

In der Zeit, in der die Tiere gemolken werden, reinigen Mitarbeiter die „Betten“, wie Alwine Hemme so schön sagt. Und das dreimal täglich. „Heutzutage sind die Tiere viel gesünder als früher. Damals wurden sie in Ställen ohne Frischluftzufuhr gehalten. Inzwischen wissen wir weitaus mehr über sie und über artgerechte Haltungsmaßnahmen“, sagt die Milchviehhalterin. Alwine Hemme ist auch davon überzeugt, dass ihre Kühe gesünder sind als mancher Mensch. „Unsere Tiere bewegen sich sehr viel an frischer Luft, erhalten gesundes Futter und werden gesundheitstechnisch systematisch überwacht.“
Zum Erfolgskonzept der Hemmes zählen nicht nur Tierwohl und die eigene Vermarktung, sondern auch die Nähe zum Verbraucher. „In unserem Melkhaus haben wir im ersten Stock ein großes Panoramafenster eingebaut, so dass sich zum Beispiel Schülergruppen den Melkvorgang genau anschauen können.“ Hofführungen sind ebenfalls Teil der Betriebskultur. Und über einen QR-Code, der sich auf jeder Produktverpackung befindet, stellt sich die Familie vor und verlinkt weiter zu ihren sozialen Kanälen.
Design trifft Landwirtschaft
Apropos Verpackung: Wer hätte gedacht, dass ein Produkt eines landwirtschaftlichen Betriebes mit dem weltweit renommiertesten Design Preis ausgezeichnet wird, dem Red Dot Design Award? 2011 wurde der schwarz-weiße Milchbeutel der Familie Hemme damit geehrt. Es folgten weitere Design-Preise. Zuletzt der begehrte German Brand Award, bei dem auch internationale Marken wie Kelloggs Cornflakes oder Guhl Haarpflege antraten.
Die Hemmes überlassen eben nichts dem Zufall. Ganz nach ihrem Motto: „Was wir tun, tun wir von ganzem Herzen.“