Dr. Thomas Ramge wuchs in einem Dorf in Mittelhessen auf und half schon als Jugendlicher in Ställen und auf Feldern. Später promovierte der Experte für Künstliche Intelligenz in Techniksoziologie zu KI-gestützter Entscheidungsassistenz. Wie sich die Landwirtschaft durch Technologie verändert und warum ausgerechnet diese traditionsbehaftete Branche zu den einflussreichsten Innovatoren zählt, erklärt der Wissenschaftsautor und Keynotespeaker in einem Gespräch mit dem Forum Moderne Landwirtschaft.
„Die Landwirtschaft war schon immer technologischer Vorreiter – KI ist einfach die nächste Stufe.“
Dr. Thomas Ramge
Welcher AHA-Moment hat Ihnen gezeigt, dass Künstliche Intelligenz die Landwirtschaft grundlegend verändern wird?
Ich beschäftige mich seit rund 20 Jahren mit Massendatenanalyse. Viele der ersten Anwendungen dazu stammten aus der Landwirtschaft, zumeist von US-Großbetrieben. Später kamen europäische hinzu. Landwirte sind sogenannte Early Adopter, die Technologien wie Automatisierung oder Robotik bereits einsetzten, lange bevor andere Bereiche dies taten.
Allein die Präzisionslandwirtschaft, also zum Beispiel das Erkennen von Nährstoffdefiziten oder Schädlingsbefall mithilfe von Sensoren, hat sehr früh gezeigt, wie viele Mehrwerte gesammelte Daten und ihre Auswertung den landwirtschaftlichen Betrieben bringen. Von daher ist es nicht überraschend, dass die Landwirtschaft von Künstlicher Intelligenz profitieren wird. KI ist in der Landwirtschaft einfach eine nächste Stufe.
Viele Verbraucher haben keine Vorstellung davon, was Landwirte an modernen Technologien bereits auf ihren Höfen einsetzen. Woran liegt das?
Dies ist ein interessanter Widerspruch. Die Bevölkerung nimmt nicht wahr, dass die Landwirtschaft ein technologischer Vorreiter ist. Denn das entspricht nicht dem Bild, das die Verbraucher von Landwirten haben. Ich bin in Biebertal-Rodheim-Bieber aufgewachsen. Damals gab es dort sechs bis sieben Vollerwerbslandwirte. Heute gibt es nur noch einen und trotzdem sind alle Felder sehr gut bestellt. Die Landwirtschaft verändert sich durch Automatisierung rasanter als nahezu jede andere Branche.

Im Interview: Dr. Thomas Ramge
Experte für Künstliche Intelligenz, Wissenschaftsautor und Keynotespeaker
Welche Vorteile bietet KI den Landwirten?
Während Landmaschinen manuelle Tätigkeiten in ausgefeiltester Form ausführen, übernimmt die KI immer mehr den analytischen Part. Durch Nutzung von KI können Landwirte informiertere Entscheidungen treffen und schneller handeln zum Beispiel, wenn bei einem Tier durch Datenanalyse frühe Anzeichen für eine Erkrankung erkennbar werden oder bei einer Pflanze Nährstoffmangel vorliegt.
Wie verändert sich der Beruf des Landwirts durch KI?
Die KI sorgt für eine Gleichheit und öffnet den Beruf auch für Quereinsteiger. Denn Erfahrungswissen kann durch Nutzung von KI-Systemen aufgefangen werden. Die Fähigkeit, intelligente Systeme richtig und sinnvoll auf einem landwirtschaftlichen Betrieb einzusetzen, wird zunehmend wichtiger. Profitieren werden Landwirte, die menschliche Erfahrung und technisches Wissen miteinander kombinieren können. Aber auch weniger erfahrene Landwirte können gute Ergebnisse erzielen.
Bei welchen Arbeitsprozessen wirkt KI in der Landwirtschaft unterstützend?
In der Erntewirtschaft sorgen intelligente Roboter für mehr Effizienz. Beispiel: Ein schlauer Roboter kann reifes von unreifem Obst unterscheiden. In der Pflanzenwirtschaft werden zum Beispiel durch Drohnenbilder oder satellitenbasierten Daten Schädlinge frühzeitig erkannt genau wie ausgetrocknete Böden oder Nährstoffmangel. In der Tierhaltung kann der Stoffwechsel von Nutztieren kontrolliert und bestimmten Erkrankungen rechtzeitig vorgebeugt werden. Kameras beobachten beispielsweise das Futterverhalten der Tiere und analysieren es gleichzeitig.
Kurz gesagt: Die KI-Analysen werden immer präziser. Ein Landwirt muss täglich Dutzende von weitreichenden Entscheidungen treffen und das bei hohen Unsicherheitsfaktoren wie dem Wetter. KI unterstützt ihn dabei mit relevanten Informationen. Aber auch in der Buchhaltung und den sehr hohen Dokumentationspflichten können intelligente System die Büroarbeiten übernehmen.
Wird der Landwirt dadurch zukünftig zum Datenverwalter?
Nicht ausschließlich, denn auch KI kann sich irren und zwar gewaltig. Erfahrungswissen und menschliche Intuition sind weiter gefragt. Man muss auch mal gegen den Rat des Systems entscheiden.
Kann sich jeder landwirtschaftliche Betrieb KI-Lösungen leisten?
Dank vieler angebotener Cloudlösungen können sich auch kleinere Betriebe diese smarten Systeme zulegen. Anfänglich sind Investitionen erforderlich, aber in der Regel werden sie sich lohnen. Denken Sie allein an Herdenkrankheiten, die mithilfe von KI rechtzeitig erkannt würden.
Kann KI die Qualität unserer Lebensmittel verbessern und die Umwelt schützen?
Auf jeden Fall verbessert sich das Produktionsniveau. Im Obstanbau werden beispielsweise durch smarte Technologien Pflanzenschutzmittel sparsamer eingesetzt. Dadurch steigt automatisch auch die Qualität, und die Umwelt wird weniger belastet.
Werden Lebensmittel durch KI eher günstiger, oder müssen Verbraucher künftig mehr zahlen?
Ich glaube nicht, dass heute noch etwas billiger wird. KI wird aber preisdämpfend wirken, weil mehr Qualität in der vorhandenen Fläche entsteht.
Zum Abschluss: Was ist der nächste AHA-Moment, den Sie zukünftig in der modernen Landwirtschaft erwarten?
Die Landwirtschaft ist schon zu einem sehr großen Teil automatisiert. Roboter ernten Erdbeeren. Drohnen bekämpfen Schädlinge aus der Luft. Es werden technologisch großartige Maschinen eingesetzt. KI hilft, Entscheidungen zu verbessern. Dennoch sind diese digitalen Systeme, wie zu Anfang erwähnt, eine Fortsetzung von technologischen Trends, die die Landwirtschaft seit über 150 Jahren umtreibt. Die Landwirtschaft hat ihre Produkte immer durch den Einsatz von Technologie besser gemacht. Das wird auch zukünftig so sein.