Als Harm Schlichtmann 1859 den Hof in Oldendorf im Landkreis Stade kaufte, hätte er sich sicherlich nicht vorstellen können, dass hier rund 160 Jahre später die Kühe per Roboter gemolken werden, die Tiere Sensoren zur Gesundheitsüberwachung tragen und automatische „Tankwächter“ die Milchqualität überprüfen, bevor das flüssige Weiß an die Molkerei geliefert wird.
Auf dem niedersächsischen Betrieb der Familie Schlichtmann steht eine qualitativ hochwertige Versorgung der Tiere an oberster Stelle.
Milchhof Schlichtmann
Es ist viel passiert, bis 2021 Harms Ur-Ur-Urenkel Söhnke Schlichtmann den Betrieb in der sechsten Generation offiziell übernahm. Söhnkes Vater Hermann baute 1980 den ersten Boxenlaufstall und kaufte weitere Ackerflächen sowie einen Nachbarbetrieb dazu. Der Betrieb entwickelte sich stetig weiter. Dabei legten die Betreiber viel Wert auf Tierwohl und Außenklima. Sie bauten sogar einen Stall mit offenem Dach. 2017 erhielt der Betrieb eine Baugenehmigung etwas außerhalb des Dorfs für einen weiteren licht- und luftdurchfluteten Boxenlaufstall ohne Außenwände. Insgesamt hat Söhnke Schlichtmann heute drei Betriebsstätten, in denen 530 Milchkühe sowie 400 Kälber und Rinder untergebracht sind. Dazu kommen 130 Hektar Ackerland, auf denen der Landwirt Getreide und Mais für die Tiere anbaut, und 130 Hektar Grünland. Eine kleine Menge Mais kauft Schlichtmann von einem Partner aus dem Dorf dazu.
Moderne Milchkuhhaltung
„Das Futter hat einen großen Einfluss auf das Tierwohl“, erklärt der Landwirt. Deshalb erhält jede Milchkuh täglich rund 40 Kilo selbst produziertes Futter wie Ackergras sowie weitere 10 Kilo Kraftfutter, welches unter anderem aus gentechnikfreiem Rapsschrot und Silomais besteht. Rund 35 bis 36 Liter Milch gibt ein Tier pro Tag.
„Das ist eine gute Leistung und ein Merkmal dafür, dass sich die Tiere wohlfühlen und topfit sind“, erläutert Schlichtmann.
Auf dieses Anzeichen allein verlässt sich der Landwirt aber nicht. Seit 2018 trägt jedes Tier, das ein Jahr und älter ist, ein Sensorenhalsband. Dreimal täglich checkt der Landwirt oder einer der Angestellten die Daten. Zusätzlich dazu sendet die Software eine Nachricht, sollte ein Tier ein auffälliges Fress- oder Bewegungsverhalten aufzeigen. „Die Technik hilft uns sehr. Tatsächlich erkennt sie schon Tage früher, ob mögliche Krankheitssymptome vorliegen, und informiert uns“, erläutert Schlichtmann. Auf diese Weise kann der Betrieb schneller reagieren und das Tier rechtzeitig untersuchen und behandeln lassen.
Darüber hinaus kommt alle sechs Wochen der Veterinär zu einem Rundgang auf den Hof. Sollte ein Tier Medikamente erhalten, darf dessen Milch nicht in die Molkerei geliefert werden. „Es gibt vorgeschriebene Wartezeiten. Aber auch danach könnte ein Tier noch positiv sein, also Arzneimittelreste im Organismus haben“, erklärt der Landwirt. „Deshalb machen wir einen sogenannten Hemmstofftest bei der Milch von behandelten Kühen. Denn wenn ein falscher Tropfen in den Milchtank gerät, wird nicht nur die ganze Ladung von der Molkerei abgelehnt, es drohen auch noch saftige Strafen.“
Denkende Melkroboter
Auf dem Schlichtmannschen Hof werden zwei verschiedene Melkprozesse durchgeführt. In dem neuen Stall sind vier Roboter im Einsatz. Diese arbeiten rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Die Tiere können sich selbst entscheiden, wann und wie oft sie in den Melkroboter gehen. „Im Schnitt lässt sich ein Tier 3,3 Mal pro Tag melken“, sagt Söhnke Schlichtmann. Beim Melkvorgang wird das Euter gescannt, dessen Gesundheitszustand gecheckt, die Euterzitzen werden desinfiziert, gereinigt, die Milch wird geprüft. Erst dann melkt das automatisch angesetzte Melkgeschirr die Milch der Kuh in den Tank. Tiere, die länger als zehn Stunden nicht im Melkroboter waren, registriert der Roboter und meldet diese an den Landwirt. „In der Regel sind das junge, unerfahrene Tiere, die erst noch lernen müssen, mit dem Melksystem zurechtzukommen.“ In dem anderen Stall gibt es einen Melkstand. „Auch hier werden Eutergesundheit und Milch genauestens geprüft. Allerdings benötigen drei Personen vier Stunden für das Melken von ungefähr 240 Kühen. Wir sind also sehr froh über die Roboter, die uns schwere körperliche Arbeit abnehmen.“
Einen weiteren wichtigen Tierwohlaspekt liefern die Stallungen, die mit Kuhbürsten und großen Liegeboxen mit Stroh und Sägespänen ausgestattet sind.
„In den Stallungen herrscht ein gutes Klima. Jedes Tier hat genügend Platz und kann sich solange es möchte frei bewegen.“
Rund 3,9 Millionen Milchkühe in Deutschland
Rund 3,9 Millionen Milchkühe werden laut Bundesinformationszentrum für Landwirtschaft in Deutschland gehalten, etwa 87 Prozent davon in offenen Laufställen. Das geht aus der letzten Landwirtschaftszählung des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2020 hervor. Aber auch die Anbindehaltung, die in früheren Zeiten die Regel war, gibt es heute noch in rund 13 Prozent der Betriebe. Sie ist meist in sehr kleinen Milchbetrieben zu finden, vorwiegend im Süden Deutschlands. „Vielfach kommen die Tiere tagsüber auf die Weide und werden nachts angebunden. Im Winter stehen sie dann die ganze Zeit auf demselben Platz. Oder sie sind mehrere Monate auf der Weide und im Winter in der Anbindehaltung.“
Die Anbindehaltung ist bei Kritikern umstritten, weil die Tiere auf einem Platz verweilen müssen und keine sozialen Kontakte zu den anderen Tieren pflegen können.
„Es geht nicht darum, ob ein Tier auf der Weide oder in einem offenen Stall untergebracht ist, sondern um die gute Versorgung der Tiere“, ist Söhnke Schlichtmann überzeugt.
Er ist Vorsitzender der Beratungsringe im Landkreis Stade. „Wir haben mehrere Berater, die unseren Landwirten in vielen Fragen aktiv zur Seite stehen. Aber ich muss sagen, unsere Landwirte sind heutzutage sehr gut ausgebildet. Es sind meistens studierte Fachleute, die Betriebe leiten. Sie denken nach vorne. Auch im Sinne des Tierwohls.“