200 Jahre Gregor Mendel - Noch heute gelten seine Erkenntnisse als Grundlage der Vererbungslehre und inspirieren Pflanzenzüchter weltweit
Anfänge der Genomforschung
Alles begann in einem Klostergarten im tschechischem Brünn. Dort experimentierte der Mönch Gregor Johann Mendel (1822 bis 1884) rund zehn Jahre lang mit verschiedenen Erbsenpflanzen. Der Sohn eines Kleinbauern wollte herausfinden, wie sich Eigenschaften von Pflanzen weitervererben. Dazu bestäubte er zwei äußerlich unterschiedliche Erbsenpflanzen gegenseitig. Die eine hatte weiße Blüten, die andere violette. Er säte die jungen Samen der elterlichen Pflanzen aus und staunte nicht schlecht: Alle neuen Pflanzen blühten Lila. Doch das Weiß war nicht verschwunden. Nachdem er die Pflanzen der zweiten Generation, also die der Kinder miteinander kreuzte, tauchte bei den „Enkel-Pflanzen“ das Weiß bei jeder vierten Pflanze wieder auf. Erbsenpflanzen aus der dritten Generation hatten sogar ganz neue Eigenschaften.
1866 veröffentliche Mendel erstmals seine Forschungsergebnisse. Die Mendelschen Regeln beschreiben, wie die Vererbung von Merkmalen abläuft. Diese Erkenntnisse wurden später mit der Funktionsweise von Genen begründet. Sogar die Blutgruppensysteme der Menschen unterliegen diesen Gesetzen. Deshalb gilt der Mönch aus Brünn gemeinsam mit seinem britischen Zeitgenossen, dem Naturforscher Charles Darwin (1809-1882), als Gründer der modernen Biologie.
"Auch heute, noch 200 Jahre nach seiner Geburt, bilden Mendels Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung die Grundlage für unsere Züchtungsverfahren, bei denen Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften gezielt gekreuzt werden", sagt Dr. Stefan Streng, Pflanzenzüchter in vierter Generation.
Vorgehen in der Züchtung
Stefan Strengs Unternehmen in Mittelfranken ist auf die Züchtung von Getreide spezialisiert. Wie Mendel suchen sein Team und er nach den ertragreichsten Pflanzen mit den besten Qualitäten. 300.000 Ähren lässt der Pflanzenzüchter pro Jahr auf seinen Feldern per Hand begutachten. 90 Prozent davon werden wieder aussortiert, denn nur die besten nehmen an den Kreuzungsverfahren teil. „Über viele Jahre hinweg verteilen wir die Gene der Vater- und Mutterpflanzen auf die Nachkommen und selektieren aus dieser Vielfalt die besten heraus“, sagt der promovierte Agrarwissenschaftler.
Vorteilhafte Züchtungsergebnisse
Mittlerweile sind die Züchtungsergebnisse rekordverdächtig. "Bei gleicher Fläche und Aussaat hat sich der Ertrag allein bei Weizen in den letzten 30 Jahren um ein Viertel erhöht“, sagt Streng. Doch nicht nur die Menge, auch die Qualität und die Resistenz gegen Krankheiten und Schädlinge konnten die Züchter maßgeblich optimieren. „Durch die Robustheit der Pflanzen kann der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln stark reduziert werden, was für mehr Nachhaltigkeit sorgt“ erläutert der passionierte Pflanzenzüchter. Sein Urgroßvater legte den Grundstein für das Unternehmen, nachdem der bayrische Prinzregent Luitpold 1902 eine Landessaatzuchtanstalt in Weihenstephan gegründet hatte und die Wichtigkeit der Pflanzenzüchtung erkannte.
Der Heterosiseffekt
Die Züchtungsmethoden wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte immer weiter verfeinert und mit technischen Möglichkeiten kombiniert. Nach der Kreuzungszüchtung kam um 1920 die Hybridzüchtung hinzu. Auch hier liegen die Mendelschen Regeln zugrunde. Durch gezielte Kreuzung der reinerbigen Nachkommenschaft der Pflanzen (Inzuchtlinien) wird ein sogenannter Heterosiseffekt erzeugt, der sich durch besondere Leistungsfähigkeit und Robustheit auszeichnet.
Die Mutationszüchtung
Anfang des 20. Jahrhunderts erkannte man, dass willkürliche Veränderungen durch verschiedene äußere Einwirkungen bei Pflanzen hervorgerufen werden können. So kam in den 1930er- Jahren die Mutationszüchtung auf. Zum Beispiel setzt man Weizenkörner ganz gezielt radioaktiver Strahlung aus und provoziert so Mutationen, also Veränderungen im Erbgut der Pflanzen. „Auf diese Weise entdeckt man bestimmte neue Eigenschaften wie Krankheitsresistenzen, die in neue Pflanzensorten eingekreuzt werden konnten. Gefährliche Rückstände werden durch die Methode nicht verursacht“, erklärt Streng.
Fortschritte in der Forschung
Rund 30 Jahre später entwickelten die Züchter ihr über Mendel erworbenes Wissen klug weiter. Sie gaben ein männliches Pollenkorn auf ein spezielles Nährmedium und zogen daraus tatsächlich eine ganze Pflanze. „Dadurch sparten sie sich viele Jahre an Züchtungsarbeit“ erklärt Dr. Streng. Die sogenannte Gewebekultur ist noch heute eine gängige Methode. Das Genom, auch Erbgut genannt, umfasst alle in einer Zelle vorhandenen Erbinformationen. In den 80er- Jahren verstanden die Wissenschaftler erstmals, wo bestimmte Eigenschaften im Genom codiert waren. Dadurch entstanden molekulare Marker, also eindeutig identifizierbare, kurze DNA-Abschnitte. Durch dieses Wissen konnte der Züchtungsprozess deutlich beschleunigt werden.
„Wir profitieren von dem stetig steigenden Know-how über das Erbgut. Dies gilt auch für die vor allem in den 90er-Jahren gewonnenen Erkenntnisse aus der Gentechnik, auch wenn wir uns hierzulande nicht an deren Nutzung beteiligen“, sagt der Züchter.
Entdeckung der CRISPR/CAS- Methode
Züchter wie Streng haben in den letzten Jahren das Genome Editing vorangetrieben, das noch schneller zu gewünschten Ergebnissen in der Pflanzenzüchtung führen kann. Dazu zählt auch die CRISPR/CAS-Methode, deren Entdeckerinnen 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. „Eigenschaften, die nach den Mendelschen Kreuzungsmethoden sehr aufwendig entwickelt werden müssten, könnten über Genome Editing durch die Veränderung einzelner, arteigener DNA-Bausteine gezielter und präziser angesteuert werden“, erklärt Streng.
Schwierigkeiten durch die Gesetzgebung
Laut dem Europäischen Gerichtshof fallen Pflanzen aus Genome Editing in der EU aber pauschal unter das geltende Gentechnikrecht, auch wenn sie kein Erbmaterial aus fremden Organismen enthalten.
„Wenn sich die Pflanzen nicht von klassisch gezüchteten unterscheiden, sollten sie nach meiner Meinung nicht mit Pflanzen aus herkömmlicher Gentechnik gleichgesetzt werden. Dann könnten wir Züchtungsziele wie bestimmte Resistenzeigenschaften effizienter erreichen und einen substanziellen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz leisten“, meint der Pflanzenzüchter.