Kreuzspinnen, Schwebfliegen, Erdbienen: Landwirt Thomas Gäbert setzt auf mehrjährige Blühstreifen, um die Artenvielfalt auf seinem Land zu erhöhen. Auf ihnen finden Insekten und andere Wildtiere langfristig Rückzugsorte.
Die Morgensonne wärmt langsam den Tag an, als Thomas Gäbert am Rand eines kleinen Waldes steht, gleich neben einem Acker. Doch es sind weder Acker noch Wald, für die sich der junge Mann interessiert. Ihm geht es um das, was dazwischenliegt. Auf einem schmalen Streifen wächst es wild. Gelbe und pinkfarbene Blüten leuchten neben schon dürren Strünken hervor, Spinnweben glänzen im Licht. „Netzbauende Spinnen, wie die Radnetz- oder Kreuzspinne, die fühlen sich hier wohl“, sagt Gäbert.
Moderne Landwirtschaft am Rande Berlins
Der 35-Jährige sieht nicht unbedingt so aus, wie man sich einen Landwirt vorstellt. Mit seinem weißen kragenlosen Hemd und dem offenen Kapuzenpulli darüber würde er in einem Coworking-Space in Berlin-Kreuzberg nicht weiter auffallen. Nur die Arbeitsschuhe an seinen Füßen verraten, dass sein Beruf ihn immer wieder nach draußen führt. Gäbert ist für die Agrargenossenschaft Trebbin eG (AGT) tätig, wenige Kilometer vor der Stadtgrenze Berlins.
2013 begann Gäbert seinen Job bei der Genossenschaft. Während er früher in erster Linie für den Pflanzenbau zuständig war, trägt er heute Verantwortung für einen riesigen Betrieb. Mit mehr als 4000 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche und 150 Mitarbeitern gehört die AGT zu einem der größten Arbeitgeber in der Gegend. Neben dem Anbau von Weizen, Roggen, Mais und anderen Kulturen ist sie auf Milchproduktion und die Aufzucht von Jungrindern spezialisiert.
Doch obwohl Gäbert als Vorstand heute alle Bereiche des Betriebs im Blick hat, gilt seine Leidenschaft diesem schmalen Streifen zwischen Wald und Acker. Vor den Blüten und den Spinnennetzen steckt eine große Tafel im Boden. „Mehrjährige Blühstreifen“ steht in großen Buchstaben darauf.
Langfristige Planung für mehr Artenvielfalt
Blühstreifen sind in den vergangenen Jahren zu einer zunehmend alltäglichen Erscheinung neben landwirtschaftlichen Nutzflächen geworden. Als Rückzugsorte für Insekten und andere Wildtiere helfen sie dabei, Artenvielfalt zu erhalten, und sind dadurch wichtige Maßnahmen für den Umweltschutz. Viele Landwirte legen deshalb für die Dauer eines Jahres Blühstreifen an – und bekommen für diese „ökologischen Vorrangflächen“ staatliche Fördergelder.
Thomas Gäbert geht einen Schritt weiter. Die Fläche, neben der er an diesem Morgen steht, ist für fünf Jahre angelegt: Mehrjährige Blühstreifen sind für den Erhalt von Biodiversität besonders wertvoll. Denn Blühmischungen für einjähriges Wachstum enthalten Samen von schnell blühenden Kulturpflanzen. Diese sind nicht winterhart, können also auch erst nach dem letzten Frost ausgebracht werden. Für einige Wildbienenarten ist das zu spät. Sie fliegen, anders als Honigbienen, hauptsächlich im Frühling und Frühsommer Blüten an – wenn auf einjährigen Blühstreifen noch nichts wächst. Da auf mehrjährigen Blühstreifen auch immer winterharte Wildpflanzenarten mit angesät werden, die nach dem ersten Winter früh zu blühen beginnen, finden diese Insekten ab dem zweiten Jahr zur richtigen Zeit Nahrung.
Und noch einen Vorteil haben mehrjährige Blühstreifen: Sie kommen naturbelassenen Habitaten besonders nahe. Hier finden Bienen, Schwebfliegen oder Spinnen auch im Winter über längere Zeit sichere Rückzugsräume. In Halmen, der Erde oder unter Pflanzenbüscheln können sie ihre Eier ablegen und so langfristig stärkere Populationen entwickeln.
Verkehrsadern für Insekten und Kleintiere schaffen
Auf seinem Smartphone zeigt Gäbert Fotos von Insekten, die in den Blühstreifen gefunden wurden. Eine Maskenbienenart, erzählt er, lebe beispielsweise nur auf einer einzigen Pflanzenart, der Resede. Dann zeigt er stolz zwischen die Stängel auf seinem Feld: Da stehe sie, sagt er.
Zu guter Letzt fungieren die Blühstreifen außerdem als so etwas wie Verkehrsadern für Wildtiere. Felder und Äcker machen es oft schwierig für Insekten, von einem Biotop ins nächste zu kommen. Die Blühstreifen vernetzen diese und erlauben es den Tieren, sich weiter zu verbreiten.
Trotz all dieser Vorteile bekommt Gäbert für seine mehrjährigen Blühstreifen keine spezielle Förderung. Neben dem Saarland ist Brandenburg das einzige Bundesland, das Blühstreifen im Rahmen von Greening-Vorschriften nicht als eigene Maßnahme fördert. Sie werden hier als Brache abgerechnet – obwohl ihre Anlage viel mehr Aufwand bedeutet. Und deshalb, sagt er, gebe es anders als in den anderen Ländern, gerade was Blühstreifen betrifft, in Brandenburg noch keine Standards. „Das ist komplettes Neuland“, sagt er und zeigt auf die Fläche hinter sich.
Durch Vernetzung mehr erreichen
Ganz allein müssen die Trebbiner sich allerdings nicht in dieses Neuland begeben. Seit fast zwei Jahren ist die Agrargenossenschaft Teil eines Netzwerks, das daran arbeitet, flächendeckend die Artenvielfalt auf intensiv genutzten Flächen zu steigern.
Der Erfolg der Maßnahmen wird bei der AGT von drei unabhängigen Experten des Netzwerks regelmäßig kontrolliert. Sie untersuchen, welche Tierarten sich auf den neu geschaffenen Blühstreifen ansiedeln. Einer, erzählt der Landwirt, kümmere sich beispielsweise nur um Stechimmen.
Zweimal im Jahr trifft sich Gäbert mit dem Projektkoordinator des Netzwerks. Sie besprechen dann nicht nur, wie es bis dahin gelaufen ist, sie planen auch weitere Maßnahmen. Der Projektkoordinator weist dann zum Beispiel Stellen aus, auf denen man im nächsten Jahr Blühstreifen anlegen könnte – ohne den laufenden Betrieb und damit die Profitabilität zu beeinträchtigen.
Natur und Wirtschaft vereinen
Und ohne Profitabilität, das sagt der Landwirt ganz offen, kann ein Betrieb wie die AGT mit mehr als 150 Mitarbeitern und wirtschaftlicher Verantwortung für die Region nicht existieren. Deshalb ist es wichtig, dass Umweltschutzmaßnahmen wie Blühstreifen in den landwirtschaftlichen Alltag integriert werden können und die Arbeit nicht beeinträchtigen. Umweltschutz und wirtschaftliche Profitabilität müssen reibungslos ineinandergreifen.
Wie sich diese Interessen nicht in die Quere kommen, zeigt Gäbert an einer anderen Stelle auf dem Land der Genossenschaft. Mit seinem Geländewagen fährt er ein paar Kilometer weiter, bis er neben einem schmalen, keilförmigen Stück Land stehen bleibt. Den Rand der Fläche säumen Apfelbäume, dahinter blüht es trotz der Trockenheit des späten Sommers noch wild. Sonnenblumen stehen dort zwischen niedrigeren bunten Blumen und trockenem Gestrüpp. Für die Bearbeitung mit großen Landmaschinen ist das Fleckchen viel zu klein. Für eine Vielzahl von Laufkäfern, aber auch für die Wespenspinne, das sieht man an den Netzen, bietet es genug Platz, sich zu entwickeln. „Solche Keile und Ecken, die sich nicht gut bewirtschaften lassen, hat jeder Landwirt“, sagt er.
Dann verabschiedet er sich. Er muss noch etwas vorbereiten, sagt er. Am nächsten Tag wird er in Stuttgart einen Vortrag halten. Das Thema: „Praktische Umsetzung von biodiversitätsfördernden Maßnahmen“. Veranstaltungen wie diese besucht er immer wieder. Warum er das macht? „Wir wollen bei dem Thema einfach vorangehen“, sagt er. Er klingt dabei fast ein wenig wie ein Kreuzberger Start-up-Gründer.