Bei einer Online-Recherche entdeckte Johanna Kuge die Aktion vom Forum Moderne Landwirtschaft
und bewarb sich, einen Tag lang bei einem Betrieb mitzuarbeiten, der Gemüse anbaut.
Johannas Hoftag beim Gemüselandwirt David
Auf ihrem kleinen Balkon reiht sich ein Blumentopf an den anderen. Johanna Kuge nutzt jeden Winkel aus, um Gemüse und Kräuter vor ihrer Offenbacher Wohnung anzupflanzen. Tomaten, Gurken, Schnittlauch, Salat, Radieschen und sogar Bohnen finden sich in ihrem grünen Miniparadies. Die 29-Jährige hat großen Spaß daran, die Pflanzen selbst zu züchten, obwohl sie sich davon nicht ernähren könnte und Tage benötigt, um eine Portion Bohnen für ein Gericht zu ernten. Aber das ist ihr egal. Sie will wissen, wie es ist, selbst Gemüse anzubauen.
Dieses Hobby brachte sie auf die Idee, sich beim Forum Moderne Landwirtschaft für die Aktion „Landwirt für einen Tag“ zu bewerben. Die Beraterin für digitale Vermarktung hatte Glück. Beim Gemüseproduzenten Renner in Mutterstadt in der Nähe von Mannheim konnte Johanna Kuge hinter die Hoftore schauen und live miterleben, wie das Unternehmen auf 2000 Hektar Bio- und konventionelles Gemüse anbaut.
Krumme Biogurken sind Ausschussware
„Ich hatte keine Vorstellungen davon, was mich erwarten würde“, sagt Johanna Kuge nach ihrem Besuch auf dem familiengeführten Hof. Am Morgen holte Betriebsleiter David Oswald sie vom Bahnhof ab und zeigte ihr den Großbetrieb. „Gemüsefelder, so weit das Auge reicht“, schwärmt die Offenbacherin. Von Frühlingszwiebeln über Rucola bis hin zu Spargel und Erdbeeren besichtigte sie die unterschiedlichsten Gemüseanpflanzungen auf Feldern und in Folientunneln. „Ich habe Spargel gestochen und Erdbeeren gepflückt und durfte alles mit nach Hause nehmen.“
Doch das Beeindruckendste war die große Halle, in der das geerntete Gemüse gewaschen, verpackt, etikettiert und verladen wird. „Hunderte von Radieschen wurden über Bänder transportiert, in Kisten gelegt und zu riesig hohen Türmen gestapelt“, erzählt sie begeistert. David Oswald fügt hinzu: „Rund sechs LKWs beladen wir täglich nur mit Frühkartoffeln und packen rund 120 Paletten mit Bundzwiebeln.“ Hinzu kommen die anderen Gemüsesorten. Alles, was bei Gemüse Renner geerntet wird, kommt vor dem Abtransport in ein Labor und wird dort auf Pflanzenmittelrückstände untersucht. Wäre eine Kiste dabei, deren Inhalt nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, würde sie nicht in den Handel kommen. Der Labortest stellt keine große Herausforderung für die Gemüseproduzenten dar. Vielmehr sind es die hohen Erwartungen der Verbraucher an Äußerlichkeiten, die mit der eigentlichen Qualität nichts zu tun haben.
„Wenn eine Biogurke leicht krumm ist oder eine Tomate nicht eine bestimmte Größe hat, können wir sie nicht verkaufen. Dabei ist ihre Qualität nicht beeinträchtigt, nur die Optik“, sagt David Oswald.
Allein bei Gurken fallen täglich bis zu zwölf Kisten Ausschussware an. Das ganze Gemüse, das keine Akzeptanz bei den Konsumenten finden würde, wird abends unter den 200 Festangestellten und rund 1000 Saisonarbeitern verteilt. „Mittlerweile müssen auch Biogurken, genau wie konventionell angebaute Gurken, ganz gerade gewachsen sein. Dabei sprechen wir hier von Naturprodukten, die krumm genauso gut schmecken“, meint der Betriebsleiter.
Ob Bio oder konventionell - das Aussehen entscheidet bei den VerbraucherInnen
„Wir Kunden stellen uns Erdbeeren groß, rund und schön rot vor. Sie sollen perfekt aussehen, aber ist das gerechtfertigt?“, fragt sich Johanna Kuge nach ihrem Landwirtschaftstag.
Es seien nicht die Umweltthemen oder der Artenschutz, die den Verbraucher umtreiben, sondern die Ansprüche, die an das Äußere einer Frucht gestellt werden. „Auch die Geldbeträge, die Gemüsehersteller für ihre Waren erhalten, haben mich nachdenklich gestimmt. Denn sie sind erschreckend gering für den hohen Aufwand, der auf einem Hof wie diesem betrieben wird“, so die Landwirtin für einen Tag weiter.
Genau wie die Nutztierhalter kennen auch die Gemüseproduzenten weder Feiertage noch Wochenende. „Radieschen wachsen am Sonnabend oder Pfingstsonntag wie an jedem Tag und müssen bearbeitet oder kontrolliert werden. Dieser enorme Aufwand wurde mir beim Hofbesuch noch einmal mehr bewusst“, schließt Johanna Kuge ihren Bericht ab.
„Ich bin sehr beseelt nach Hause gefahren. Schließlich habe ich einen Einblick in eine Welt erhalten, die uns im Supermarkt oder Gemüsegeschäft täglich begegnet. Deshalb glauben wir Verbraucher, sie zu kennen, aber davon sind wir meilenweit entfernt.“