Bei seiner Arbeit setzt Winzer Marco Becker ein digitales Prognosesystem ein, das ihn dabei unterstützt, klima- und umweltfreundlich sowie nachhaltig zu arbeiten
Seit einem Jahr kann Marco Becker besser schlafen. Grund dafür ist eine smarte Prognose-App. Diese berechnet, ob seine Weinreben von Mehltau oder Falschem Mehltau befallen werden könnten, und wann er bei erhöhter Gefahr Pflanzenschutz ausbringen sollte. Sogar die Wirkstoffe, die die Pilzkrankheiten in Schach halten und ihre Ausbreitung verhindern können, ermittelt das präventive System.
„Je instabiler die gewohnten Wetterausprägungen sind und je öfter wir unter Extremwetter leiden, desto höher und heimtückischer ist die Gefahr des Pilzbefalls im Weinberg“, erklärt Weinbauer Marco Becker.
Der Winzer betreibt mit seiner Familie ein Weingut unweit von Mainz am Rhein mit einer Größe von 28 Hektar. Die Weinberge erstrecken sich über eine gesamte Länge von 28 Kilometern und können unterschiedliche kleinklimatische Wettersituationen aufweisen. Insgesamt baut Familie Becker 30 verschiedene Rebsorten an.
Kaum Schutz vor Pilzbefall
Kälte, Wärme, Feuchtigkeit und der schnelle Wechsel dazwischen: Das sind Kombinationen, die die pilzlichen Schaderreger besonders „mögen”. „Hier hilft nur der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Aber seitdem wir bei Befall keine heilenden und wirkungsvollen Wirkstoffe mehr nutzen dürfen, haben die Pilze mehr Spielraum erhalten, sich weiter auszubreiten. Sie sind zunehmend schwieriger zu bekämpfen“, erklärt der Rheinhesse. „Wir sind gezwungen, die Reben protektiv vor einer Infektion zu behandeln.“
Vor allem ab Mai und Juni, wenn die Blattnässe oder die Taubildung durch starken Wetterwechsel ansteigen, erhöhe sich das Infektionsrisiko, so Becker.
„Besonders um die Blüte herum sind die Weinreben besonders angreifbar. Hier ist der Ertrag direkt gefährdet“, erklärt er.
Bisher musste der Winzer fünf bis zehnmal pro Saison Pflanzenschutz – je nach Wetterlage und Befall – ausbringen. Sonst wäre er Gefahr gelaufen, die jährliche Ernte für die Produktion von rund 250.000 Litern Wein zu verlieren. Seitdem er eine intelligente Prognose-App einsetzt, kann er dieses Risiko minimieren. Zusätzlich spart Marco Becker pro Jahr ein bis zwei Pflanzenschutzbehandlungen, was einer Reduzierung von zehn bis 20 Prozent der Pflanzenschutzmittel ausmachen kann.
Schutz durch Datenanalyse
„Die App berechnet den möglichen Befall der beiden Leitkrankheiten Mehltau und falscher Mehltau. Bei erhöhtem Druck gibt das System an, welche Wirkstoffe für Schutz sorgen“, beschreibt der Winzer. „Dann gebe ich nach der Ausbringung die Wirkstoffe und die verteilte Menge in die App ein und das System ermittelt, wie lange die Weinreben nun geschützt sind.“
Neben der Prognose-App hat Marco Becker fünf Wetterstationen mit Windmesser und Blattnässe-Sensoren auf seinen Weinbergen im Einsatz. Über diese kann er alle fünf Minuten Wetterdaten und Blattfeuchte abrufen. „Insgesamt kann ich auf 18 dieser Stationen zugreifen, die meine Kollegen im Einsatz haben. Diese sind untereinander vernetzt.“ Dank der Informationen dieser Stationen weiß er zum Beispiel, wann er seine Flächen befahren kann oder die windärmste Zeit ist, um Pflanzenschutzmaßnahmen durchzuführen.
Pilzresistente Weinreben
Aber auch die moderne Pflanzenzüchtung unterstützt die Winzer dabei, klima- und umweltfreundlich zu arbeiten.
„Wir bauen zusätzlich zu den klassischen Rebsorten wie Riesling, Silvaner, Burgunder und Portugieser pilzwiderstandsfähige Reben wie Regent, Blütenmuskateller oder Saphira an.“ Diese benötigen bis zu 80 Prozent weniger Pflanzenschutz.
Auf welches neue digitale Hilfsmittel sich der Weinbauer schon freut? „Aktuell werden smarte Bodenanalysegeräte getestet, mit denen man die Nährstoffe in der Erde bestimmen kann. Diese werden in naher Zukunft zeit- und kostenintensive Bodenanalysen in Laboren ersetzen und die Düngungsvorgänge positiv beeinflussen“, erläutert der Vater dreier Söhne.
Von wegen Digital Natives
Apropos Nachwuchs: „Alle meine Söhne haben eine Winzerausbildung abgeschlossen und werden in vier bis fünf Jahren unser Weingut übernehmen. Es waren aber nicht sie, die mich auf die Prognose-App gestoßen haben, sondern ich bin selbst sehr offen für Neues und schon vor rund zwei, drei Jahren auf die Technologie aufmerksam geworden. In der Berufsschule werden digitales Know-how oder digitale Innovationen immer noch vernachlässigt. Hier sollte dringend nachgelegt und die Lehrpläne angepasst werden“, fordert der Weinbauer.
Mit der diesjährigen Ernte ist Marco Becker allerdings zufrieden. „Obwohl es in diesem Jahr sehr feucht war, hatten wir dank der Tools, einem wachen Auge, genügend Kontrollfahrten und den richtigen Mitteln zur richtigen Zeit Mehltau und Falschen Mehltau weitestgehend im Griff.“
Mehr dazu im Video Mit Prognose-App gegen Pilzbefall in der Landwirtschaft: Wie präzise Wetterdaten im Weinbau helfen vom IVA Industrieverband Agrar.