Etwa ein Drittel der Lebensmittel, die in Deutschland produziert werden, verkaufen wir in andere Länder. Gleichzeitig importieren wir viele Lebensmittel. Ist das nachhaltig? Prof. Dr. Stephan v. Cramon-Taubadel von Department für Agrarökonomie im Interview.
Können wir nicht einfach auf den Export von Lebensmitteln verzichten?
Grundsätzlich wäre es möglich, darauf zu verzichten. Aber wenn die Bevölkerungsdichte, die Einkommen und die Nachfrage nach Lebensmitteln in vielen anderen Ländern wie erwartet weiterhin steigen werden, dann müsste jede Tonne, die wir weniger exportieren, woanders auf der Erde mehr produziert werden. Die Nachhaltigkeit würde bei uns steigen, aber auf Kosten der Nachhaltigkeit anderswo auf dem Planeten. Ob unterm Strich ein positiver Effekt entstünde, ist keineswegs sicher, denn vielerorts sind die Produktionsstandards nicht so streng wie bei uns.
Unsere Exportzahlen beeinflussen die Nachhaltigkeit also nicht?
Das globale Agrar- und Ernährungssystem ist komplex. Einfache Lösungen, die regional oder national betrachtet vorteilhaft erscheinen, verlagern häufig nur Probleme wie den CO2-Ausstoß oder den Biodiversitätsverlust. Der Export schließt nachhaltige Produktion nicht aus. Wir können nachhaltiger produzieren und dennoch weiterhin exportieren. Wenn wir das globale Agrar- und Ernährungssystem nachhaltig entlasten wollen, dann müssen wir in erster Linie an unsere Konsumgewohnheiten denken, zum Beispiel an unseren Fleischkonsum, nicht den Export.
Was passiert mit überschüssigen Produktionen wie bei Zuckerrüben, Kartoffeln, Brotgetreide, Milch?
Sie werden exportiert und sind dann in fast allen anderen Ländern der Welt zu finden, häufig in verarbeiteter Form. Das ist zunächst ein völlig normaler Vorgang. Deutschland exportiert zum Beispiel Fahrzeuge und Maschinenbauprodukte, aber eben auch Getreide, weil wir diese Produkte international wettbewerbsfähig produzieren können.
Warum werden bei uns so wenig Obst und Gemüse angebaut?
Eigentlich werden gar nicht so wenig Obst und Gemüse in Deutschland angebaut: 2022 wurden Obst und Gemüse im Wert von ca. 5,2 Milliarden Euro und Kartoffeln im Wert von 2,6 Milliarden Euro in Deutschland produziert. Es stimmt allerdings, dass Deutschland bei Obst und Gemüse einen Selbstversorgungsgrad von deutlich unter hundert Prozent hat. Das hat zunächst damit zu tun, dass die Obst- und Gemüseproduktion in der Regel arbeitsintensiv ist und Mitarbeiter in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern knapp und teuer sind. Das ist ein Wettbewerbsnachteil. Außerdem gibt es viele Obst- und Gemüsearten, die wir gerne essen, die aber bei uns nicht oder nur zu astronomischen Kosten angebaut werden könnten, wie Zitrusfrüchte, Bananen und Oliven.
Am Ende liegt es also an den Verbraucherwünschen?
Eine hundertprozentige Selbstversorgung mit einheimischem Obst und Gemüse wäre theoretisch möglich, aber dann müssten wir gänzlich auf Bananen verzichten. Oder eine Selbstversorgung mit Gewächshaus-Bananen in Deutschland in Kauf nehmen, die teuer ist und zulasten der Umwelt subventioniert werden würde. Aufgrund der Verbraucherwünsche importieren wir sogar zum Teil auch Obst- und Gemüse, das bei uns gut wächst, weil damit die saisonale Verfügbarkeit gestreckt wird. Beispielsweise werden frische Tomaten und Gurken aus Italien oder Spanien bei uns angeboten, einige Monate bevor unsere heimische Produktion verfügbar wird.
Deutschland importiert aber auch Raps aus Australien oder Eier aus Polen. Können wir diese nicht selber produzieren?
Das könnten wir, aber es wäre nicht immer im Sinne der Nachhaltigkeit. Gewiss: Einige unserer Lebensmittelimporte können aus der Nachhaltigkeitsperspektive hinterfragt werden, das per Luftfracht importierte Schälchen Bioheidelbeeren aus Lateinamerika etwa. Aber einheimische Produkte sind nicht grundsätzlich nachhaltiger als importierte.
Ein frischer Importapfel aus Südtirol hat womöglich eine deutlich günstigere CO2-Bilanz in einem Münchener Supermarkt als ein einheimischer Apfel aus dem weiter entfernten Alten Land. Ganz abgesehen davon, dass in unserem gemeinsamen EU-Binnenmarkt Eier aus Polen oder Äpfel aus Südtirol rechtlich gesehen gar keine Importe darstellen, genauso wenig wie bayerisches Bier in Berlin oder Spreewaldgurken in Stuttgart.
Aber alle reden davon, regional zu kaufen. Spielt das nun doch keine Rolle?
Wichtig ist nicht, ob ein Produkt „lokal“ oder importiert ist, sondern dass alle beteiligten Akteure in der Kette zwischen Erzeugern und Verbrauchern die vollen Kosten ihrer Produktions- und Kaufentscheidungen tragen, darunter auch die Kosten, die beim Warentransport in Form von CO2-Ausstoß verursacht werden. Das ist häufig nicht oder noch unzureichend der Fall.
Das Einpreisen von Umweltkosten ist ein dickes Brett.
Viele Lebensmittel wären deutlich teurer, wenn sämtliche Umweltkosten, die bei ihrer Produktion und Vermarktung entstehen, sich in ihren Preisen widerspiegeln würden. Dieses Einpreisen von Umweltkosten bei gleichzeitiger Abfederung der negativen Auswirkungen von teureren Lebensmitteln auf Haushalte mit niedrigem Einkommen, das ist ein dickes Brett, an das sich die Politik in Deutschland und der EU bisher nicht konsequent getraut hat.
2020 hat Deutschland 350 verschiedene Lebensmittel in 186 Länder exportiert. Dennoch fürchten viele Experten, dass die Landwirtschaft in Deutschland rückläufig ist. Deckt sich das mit Ihrer Einschätzung?
Ich sehe keine Gefahr, dass die landwirtschaftliche Produktion aus Deutschland nennenswert abwandern wird. Dafür sind die natürlichen Produktionsbedingungen in Deutschland zu gut, und dafür ist die globale Nachfrage nach Lebensmitteln zu stark. Die Strukturen in der deutschen Landwirtschaft werden sich weiterhin den Gegebenheiten anpassen; die Produktion wird bei einigen Erzeugnissen steigen und bei anderen zurückgehen.
Im Interview:
Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel
Professor für Agrarpolitik am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen.